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Die leidenschaftliche Liebe der Edelgesinnten zu Jünglingen mit anmutigen Gesichtern

In seinem Werk „Die transzendente Weisheit in den vier intellektuellen Reisen“ widmet sich Ṣadruddīn Muḥammad ash-Shīrāzī (gest. 1641 n. Chr.), besser bekannt als Mullā Ṣadrā, einer Fragestellung, die im religiösen und kulturellen Umfeld der Shīʿa viel diskutiert wird: die leidenschaftliche Liebe (ʿIshq) der Edelgesinnten (gemeint sind die Muʿammamīn) zu gutaussehenden Knaben (al-Ghilmān al-Ḥisān) und jungen Männern. Als renommierter Zwölfer-Schiit, Theologe und Großgelehrter seiner Zeit suchte er nicht nur nach einer Erklärung dieses Phänomens, sondern auch nach einer Legitimation, die er theologisch und philosophisch untermauern konnte.

In diesem Textauszug legt Mullā Ṣadrā eine Argumentation vor, die aus islamischer Sicht mehr als problematisch erscheint. Seine Worte lassen erkennen, dass er die Neigung zwischen gleichgeschlechtlichen Männern nicht nur toleriert, sondern geradezu fördert. Unter dem Deckmantel philosophisch-religiöser Erklärungen erhebt er die homosexuelle Zuneigung zu gutaussehenden Knaben zu einer vermeintlich höheren, gar göttlich gewollten Liebe – und rechtfertigt damit eine Praxis, die im Islam streng verboten ist.

Die Ausführungen Mullā Ṣadrās ebnen den Weg zur Verharmlosung homosexueller Beziehungen in den Reihen der Shīʿa. Er verknüpft Sinnlichkeit und Spiritualität in einer Weise, die die Grenzen islamischer Moralvorstellungen deutlich überschreitet. Dieses gedankliche Konstrukt, das moralisch fragwürdige Handlungen rechtfertigt, ist kein bloßes Aufgreifen kultureller Traditionen, sondern eine gezielte Erweiterung dieser Traditionen in Richtung einer scheinbar legitimierten Homosexualität.

Sein Versuch, diese Neigungen als „göttlich angelegte“ oder gar notwendige Voraussetzung für geistige Erfüllung darzustellen, unterläuft grundlegende islamische Maßstäbe. Mullā Ṣadrā und sein Umgang mit dem Thema Homosexualität ist ein bedenkliches Beispiel dafür, wie religiöse Argumente missbraucht werden können, um problematische bis schädliche Verhaltensweisen zu legitimieren.

Er sagt: „Kapitel: Die leidenschaftliche Liebe der Edelgesinnten zu Jünglingen mit anmutigen Gesichtern.

Wisse, dass die Meinungen der Weisen über diese leidenschaftliche Liebe (ʿIshq), ihre Natur, ob sie lobenswert oder tadelnswert, gut oder schlecht sei, auseinandergehen. Einige haben sie verurteilt, als eine Niederträchtigkeit beschrieben und ihre Nachteile hervorgehoben. Sie erklärten, dass sie eine Beschäftigung der Untätigen und Müßiggänger sei.

Andere wiederum haben sie als seelische Tugend gepriesen, ihre Vorzüge beschrieben und die Ehre ihres Ziels hervorgehoben. Es gibt auch jene, die ihre Natur, ihre Ursachen, ihre Gründe und Ziele nicht erkannten. Manche behaupteten, sie sei eine seelische Krankheit, während andere sie als göttlichen Wahnsinn bezeichneten.

Was jedoch aus gründlicher Betrachtung, einem präzisen Ansatz und der Untersuchung der Ursachen auf einer höheren Ebene sowie der Analyse ihrer weisen Ziele hervorgeht, ist Folgendes: Diese leidenschaftliche Liebe, die starke Freude an einem schönen Antlitz, die übermäßige Zuneigung zu jemandem, der anmutige Eigenschaften, harmonische Glieder und eine vollkommene Erscheinung besitzt – da sie in der Natur der meisten Völker ohne künstliche Bemühung oder Nachahmung existiert, ist sie zweifellos eine von Allah gegebene Einrichtung. Sie hat ihren Platz unter den göttlichen Anordnungen, die auf Nutzen und Weisheit beruhen.

Daher muss sie als lobenswert und anerkennenswert betrachtet werden, insbesondere wenn sie aus edlen Absichten hervorgeht und auf ehrenwerte Ziele abzielt.

Die Ursprünge dieses Themas liegen in der Beobachtung, dass die meisten Nationen, die sich mit der Vermittlung von Wissenschaften, feinen Künsten, Literatur und Disziplinen beschäftigen – wie die Völker Persiens, des Irak, Syriens, der Römer und all jene, die sich durch präzise Wissenschaften, raffinierte Künste und ansprechende Sitten auszeichnen – keineswegs frei von dieser feinsinnigen Liebe sind, die auf der Wertschätzung der Anmut des Geliebten basiert. Wir finden niemanden, der ein sensibles Herz, einen feinen Charakter, einen klaren Verstand und eine mitfühlende Seele besitzt, der nicht irgendwann in seinem Leben von dieser leidenschaftlichen Liebe berührt wurde.

Hingegen sind grobe Seelen, harte Herzen und raue Naturen, wie sie oft bei Kurden, Beduinen, Türken und Zanj zu finden sind, in der Regel frei von dieser Art von leidenschaftlicher Liebe. Sie beschränken sich meist auf die leidenschaftliche Liebe zwischen Männern und Frauen oder Frauen und Männern, die auf das Begehren nach Ehe und Fortpflanzung abzielt. Dies gleicht der natürlichen Veranlagung der meisten Tiere, deren Trieb zur Paarung und Fortpflanzung in ihrer Natur verankert ist, um den Fortbestand der Art zu sichern und die Formen durch Geschlecht und Art in der Materie zu bewahren, da Einzelwesen ständig im Fluss und Wandel begriffen sind.

Der Zweck dieser leidenschaftlichen Liebe, wie sie bei edelgesinnten und feinfühligen Menschen existiert, liegt in den positiven Folgen, die sich daraus ergeben: der Erziehung und Bildung von Knaben und Kindern, ihrer Schulung in Teilwissenschaften wie Grammatik, Rhetorik, Mathematik, Geometrie und anderen präzisen Wissenschaften, der Aneignung feiner Sitten, wohlgeformter Poesie, angenehmer Melodien sowie der Unterweisung in Erzählungen, Geschichten und überlieferte Berichte. All dies trägt zur geistigen Vervollkommnung bei.

Wenn Kinder und Jugendliche nicht länger der Fürsorge von Eltern bedürfen, benötigen sie dennoch die Anleitung von Lehrern und Pädagogen, deren wohlwollende Aufmerksamkeit und Zuwendung auf Fürsorge und Mitgefühl basieren. Aus diesem Grund hat die göttliche Vorsehung in die Seelen erwachsener Männer eine natürliche Zuneigung zu Kindern und eine Vorliebe für hübsche Jungen gelegt. Dies soll sie dazu anregen, sich um deren Erziehung, Bildung und Vervollkommnung zu bemühen und sie zu den angestrebten Zielen ihrer Existenz zu führen.

Wäre diese Neigung nicht von Allah gewollt, hätte Er sie nicht in die Herzen der meisten edelgesinnten und gelehrten Menschen gelegt. Dies wäre sinnlos und zwecklos gewesen. Die Existenz dieser seelischen Liebe in feinfühligen Seelen und empfindsamen Herzen, die weder hart noch rau sind, muss daher einem weisen Nutzen und einem korrekten Ziel dienen.

Wir beobachten, dass die zuvor erwähnten Ziele erreicht werden, weshalb die Existenz dieser leidenschaftlichen Liebe (ʿIshq) im Menschen unweigerlich zu den Tugenden und positiven Eigenschaften gezählt werden muss, nicht zu den Lastern oder schlechten Charakterzügen. Wahrlich, diese leidenschaftliche Liebe befreit die Seele von allen weltlichen Sorgen, außer einer einzigen: der Sehnsucht nach der Betrachtung menschlicher Schönheit, in der viele Spuren der Schönheit und Majestät Allahs zu erkennen sind. Dies wird im Qurʾān angedeutet, wenn es heißt: „Wir haben den Menschen ja in schönster Gestaltung erschaffen.“1 sowie „Dann schufen Wir ihn zu einer anderen Schöpfung. So sei Allah gepriesen, der beste Schöpfer.“2 Dabei kann die „andere Schöpfung“ sowohl die äußere, vollendete Form des Menschen als auch die sprechende Seele (Nafs Nāṭiqa) bezeichnen, da das Äußere ein Ausdruck des Inneren und das Körperliche ein Abbild des Wesentlichen ist. In diesem Sinne wird oft gesagt, dass das Äußere eine Brücke zur Wahrheit (Ḥaqīqa) ist.

Aus diesem Grund wird diese seelische Liebe zu einer menschlichen Person – sofern sie nicht von einer übermäßigen tierischen Begierde ausgeht, sondern auf der Wertschätzung der Eigenschaften des Geliebten, seiner harmonischen Erscheinung, seines ausgeglichenen Temperaments, seiner guten Moral, seiner anmutigen Bewegungen sowie seines feinen und charmanten Wesens beruht – als Tugend betrachtet. Diese leidenschaftliche Liebe sensibilisiert das Herz, schärft den Verstand und regt die Seele an, edle Ziele zu verfolgen. Daher empfahlen spirituelle Lehrer ihren Schülern oft, diese Art der leidenschaftlichen Liebe zu Beginn ihrer Reise zu pflegen. Es wurde sogar gesagt: „Keusche Liebe veredelt die Seele und erhellt das Herz.“ In den Überlieferungen heißt es: „Allah ist schön und liebt die Schönheit.“ Und es wurde gesagt: „Wer liebt, keusch bleibt, dies geheim hält und stirbt, der stirbt als Märtyrer.“

Die leidenschaftliche Liebe zwischen Menschen lässt sich in wahre und metaphorische Liebe unterteilen. Die wahre Liebe ist die Liebe zu Allah, Seinen Eigenschaften und Seinen Handlungen, insofern sie Seine Handlungen sind. Die metaphorische Liebe wiederum lässt sich in eine seelische und eine körperliche Liebe aufteilen. Die seelische Liebe entspringt der Ähnlichkeit zwischen der Seele des Liebenden und der des Geliebten. Sie bewirkt, dass der Liebende sich mehr zu den Eigenschaften des Geliebten hingezogen fühlt, da diese Eigenschaften Ausdruck seiner Seele sind. Die körperliche Liebe hingegen hat ihren Ursprung in körperlicher Begierde und dem Streben nach sinnlicher Lust. Der Liebende fühlt sich dabei stärker zu der äußeren Erscheinung des Geliebten, seiner Hautfarbe und den Formen seiner Gliedmaßen hingezogen, da dies körperliche Merkmale sind.

Die erste Art der metaphorischen Liebe (die seelische) entspringt der Feinheit der Seele und ihrer Eigenschaften, während die zweite Art (die körperliche) von der triebhaften Seele (Nafs Ammāra) ausgeht und oft mit Sittenlosigkeit und Gier einhergeht. Dabei dominiert die triebhafte Kraft die Vernunft. Die seelische Liebe hingegen macht die Seele empfindsam, sehnsüchtig, voller Wehmut, Tränen, weichem Herzen und Nachdenken, als ob sie etwas Innerliches suche, das den Sinnen verborgen bleibt. Dadurch wendet sie sich von weltlichen Ablenkungen ab und richtet sich ausschließlich auf den Geliebten.

Diese Fokussierung auf einen einzigen Geliebten macht es dem Liebenden leichter, sich dem wahren Geliebten (Allah) zuzuwenden, da er sich nur von einem entfernen und sich einem anderen zuwenden muss.

Es sei darauf hingewiesen, dass diese Form der leidenschaftlichen Liebe – auch wenn sie zu den Tugenden zählt – dennoch zu jenen Tugenden gehört, die zwischen der reinen intellektuellen Vernunft und der tierischen Seele angesiedelt sind. Solche Tugenden können nicht immer und unter allen Umständen als uneingeschränkt lobenswert und ehrenhaft betrachtet werden. Sie sind weder zu jeder Zeit noch in jeder Situation oder für jede Person angemessen.

Diese leidenschaftlichen Liebe sollte vielmehr während der mittleren Phasen des spirituellen Weges verwendet werden, wenn es darum geht, die Seele zu sensibilisieren, sie aus dem Schlaf der Nachlässigkeit und der Trägheit der Natur zu wecken und sie aus dem Ozean der tierischen Begierden herauszuführen.

Wenn die Seele jedoch durch göttliche Wissenschaften vervollkommnet wird, wenn sie zur tatsächlichen Vernunft wird, die universelles Wissen umfasst und die Fähigkeit zur Verbindung mit der Welt des Göttlichen (ʿĀlam al-Quds) besitzt, so ist es für sie nicht angemessen, sich weiterhin mit der leidenschaftlichen Liebe zu diesen sinnlich wahrnehmbaren, materiellen Erscheinungen oder den anmutigen menschlichen Eigenschaften zu beschäftigen. Denn ihre Stellung ist dann erhabener als diese Form der leidenschaftlichen Liebe.

Aus diesem Grund wird gesagt: „Das Metaphorische ist die Brücke zur Wahrheit.“ Sobald die Brücke zur Welt der Wahrheit überschritten wurde, gilt eine Rückkehr zu dem, was bereits verlassen wurde, als unpassend und wird zu den Lasterhaftigkeiten gezählt.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Meinungsverschiedenheiten der frühen Philosophen und Weisen über die Lobwürdigkeit oder Verwerflichkeit der leidenschaftlichen Liebe auf diese Erklärung zurückzuführen sind. Ebenso könnte diese Uneinigkeit aus der Verwechslung zwischen der keuschen, seelischen Liebe, die aus der Feinheit der Seele und ihrer Wertschätzung für die Harmonie der Gliedmaßen, das Gleichgewicht des Temperaments, die Schönheit der Erscheinung und die Vollkommenheit der Gestalt entspringt, und der tierischen Begierde resultieren, die von der Entfesselung der triebhaften Kraft (al-Qūwa ash-Shahwāniyya) ausgelöst wird.

Was diejenigen betrifft, die behaupten, diese leidenschaftliche Liebe (ʿIshq) sei das Tun von Müßiggängern mit leerem Sinn, so liegt dies daran, dass sie keine Kenntnis von verborgenen Angelegenheiten und subtilen Geheimnissen haben. Sie erkennen nur das, was den Sinnen offenbart und den äußeren Wahrnehmungen sichtbar wird. Sie wissen nicht, dass Allah, erhaben ist Er, nichts in die Natur der Seelen legt, außer zu einem bedeutenden Zweck und mit einer edlen Weisheit.

Was jene betrifft, die sagen, es sei eine psychische Krankheit, oder es sei ein „göttlicher Wahnsinn“, so haben sie dies lediglich aufgrund der Symptome gesagt, die Liebenden widerfahren: schlaflose Nächte, abgemagerter Körper, welkes Aussehen, unregelmäßiger Puls, eingesunkene Augen und seufzende Atemzüge – ähnlich den Zuständen von Kranken. Sie dachten, dass der Ursprung dieser Zustände in einer gestörten Körperverfassung und der Dominanz von „schwarzer Galle“ (Melancholie) liege. Doch dies ist nicht der Fall. Vielmehr ist das Gegenteil wahr: Diese Zustände beginnen zunächst in der Seele und wirken sich dann auf den Körper aus.

Wer ständig über eine innere Angelegenheit nachdenkt und sich tief darin vertieft, lenkt die körperlichen Kräfte in Richtung des Gehirns. Dies führt aufgrund der starken Aktivität im Gehirn zu einer enormen Wärmeentwicklung, die die feuchten Substanzen verbrennt und die nützlichen Nährstoffe erschöpft. Dies verursacht Trockenheit und Austrocknung in den Gliedern, und das Blut verwandelt sich in schwarze Galle. In manchen Fällen entwickelt sich daraus Melancholie.

Was jene betrifft, die sagen, es sei ein „göttlicher Wahnsinn“, so haben sie dies aufgrund ihrer Unfähigkeit gesagt, ein Heilmittel oder ein Getränk zu finden, das die Liebenden von ihrer Not und ihrem Leid befreit. Sie hatten keine andere Wahl, als Allah durch Gebet, Almosen und Beschwörungen um Heilung zu bitten. Dies war auch die Vorgehensweise der Weisen und Ärzte der Griechen: Wenn es ihnen nicht gelang, einen Patienten zu heilen, oder sie die Hoffnung auf Genesung aufgaben, brachten sie ihn in ihre Tempel. Dort ordneten sie Gebete, Almosen und Opfergaben an und baten ihre Priester und Mönche, Allah um Heilung zu bitten. Wenn der Kranke dann genas, nannten sie dies „göttliche Heilung“ und die Krankheit „göttlichen Wahnsinn“.

Einige sagten, die leidenschaftliche Liebe (ʿIshq) sei eine Neigung in der Seele, die sich auf eine natürliche Verwandtschaft im Körper richtet, oder auf ein ähnliches Bild im gleichen Geschlecht.

Andere behaupteten, ihr Ursprung liege in der Übereinstimmung des Sternzeichens bei der Geburt. Demnach entstünde leidenschaftliche Liebe zwischen zwei Personen, deren Sternzeichen und Grad übereinstimmen, deren Geburt von demselben Planeten beeinflusst wurde oder deren Tierkreiszeichen in bestimmten Aspekten und Konstellationen, wie beispielsweise in den Dreiecken, harmonieren. Dies ist Wissen, das den Astrologen bekannt ist und durch das sie den gegenseitigen Hang erklären.

Wieder andere sagten, die leidenschaftliche Liebe sei ein übermäßiges Verlangen nach Vereinigung. Obwohl diese Aussage ansprechend ist, bleibt sie doch unklar und bedarf einer genaueren Erläuterung: Welche Art von Vereinigung ist hier gemeint? Denn eine Vereinigung könnte zwischen zwei Körpern durch Vermischung und Verschmelzung stattfinden, doch dies ist auf die Seelen nicht anwendbar.

Angenommen, es käme zu einer physischen Verbindung zwischen den Körpern des Liebenden und seines Geliebten – sei es im Zustand der Unachtsamkeit, Ablenkung oder des Schlafs –, so wäre dies nicht das erhoffte Ziel. Denn, wie bereits erwähnt, ist die leidenschaftliche Liebe eine Eigenschaft der Seele und nicht des Körpers.

Der einzige denkbare und sinnvolle Begriff von Vereinigung ist jener, den wir in den Untersuchungen über den Intellekt und das Intelligible erläutert haben: die Vereinigung der denkenden Seele mit der Form des reinen Intellekts oder die Vereinigung der empfindenden Seele mit der Form des Wahrgenommenen. In diesem Sinne kann sich die liebende Seele mit dem Bild des Geliebten vereinen, und zwar durch wiederholte Beobachtungen, intensive Betrachtungen sowie durch starkes Nachdenken und Erinnern an seine Erscheinung und Eigenschaften. So wird das Bild des Geliebten zu einer ständigen, gegenwärtigen Form in der Seele des Liebenden.

Dieses Verständnis haben wir auf eine Weise dargelegt und präzisiert, die keinen Raum für Zweifel oder Ablehnung durch die Intelligenten lässt.

Es findet sich in den Erzählungen über die Liebenden etwas, das darauf hindeutet. So wird berichtet, dass Majnūn al-ʿĀmirī einst so sehr in die leidenschaftliche Liebe vertieft war, dass seine Geliebte Lailā zu ihm kam und ihn anrief: „Oh Majnūn, ich bin Lailā!“ Doch er schenkte ihr keine Beachtung und antwortete: „Ich brauche dich nicht mehr in deiner äußeren Gestalt, denn meine leidenschaftliche Liebe gilt der Essenz, die du in meinem Inneren repräsentierst. Die wahre leidenschaftliche Liebe liegt in der inneren Form, die das eigentliche Geliebte ist, und nicht im äußeren Wesen, das nur eine Darstellung dieser Form ist.“

Dies gleicht der Erkenntnis, bei der das Wissen tatsächlich auf die innere, gedankliche Vorstellung gerichtet ist, nicht auf das, was außerhalb der Wahrnehmung existiert. Wenn sich das Konzept der Vereinigung des Denkenden mit der Form des Gedachten sowie der Vereinigung des empfindenden Wesens mit der Form des Empfundenen – wie wir es zuvor dargelegt haben – bewahrheitet, wird klar, dass die Seele des Liebenden mit der Form seines Geliebten so eins werden kann, dass sie nicht mehr auf dessen physische Gegenwart oder Gestalt angewiesen ist.

Wie der Dichter sagte:

„Ich bin, wer ich liebe, und wer ich liebe, bin ich;

Wir sind zwei Seelen, die in einem Körper wohnen.

Siehst du mich, so siehst du ihn,

Siehst du ihn, so siehst du uns beide.“

Es ist offensichtlich, dass eine Vereinigung zwischen zwei Dingen nur so möglich ist, wie wir es zuvor erklärt haben. Diese Vereinigung ist eine Eigenschaft geistiger und seelischer Zustände. Bei körperlichen Dingen und materiellen Formen ist hingegen keine echte Vereinigung denkbar, sondern lediglich eine Nachbarschaft, eine Durchdringung oder ein Berühren.

Die Wirklichkeit zeigt, dass es in dieser Welt keine echte Verschmelzung gibt und keine Essenz vollständig mit einer anderen verschmelzen kann. Das liegt an zwei Gründen:

Erstens: Wenn der Zustand eines einzigen Körpers genau untersucht wird, zeigt sich, dass selbst er eine Mischung aus Abwesenheit und Trennung ist. Denn jedes Teil eines Körpers ist von den anderen Teilen getrennt, obwohl sie ein Ganzes bilden. Dieses vermeintliche „Zusammensein“ seiner Teile ist in Wirklichkeit Trennung. Weil zwischen den Teilen weder ein fremder Körper noch ein leerer Raum existiert, und weil es keine Oberflächenbildung innerhalb des Körpers gibt, wird er als „zusammenhängend“ und „einheitlich“ beschrieben. Doch diese Einheit ist nicht frei von Vielheit.

Wenn ein Körper in seinem Wesen schon diese Art von Trennung und Abwesenheit enthält, wie könnte dann etwas anderes mit ihm vollständig verschmelzen oder eine wahre Verbindung zwischen ihm und einem anderen entstehen?

Ein weiterer Grund ist, dass selbst unabhängig von dem zuvor Erwähnten keine wahre Verbindung zwischen zwei Körpern möglich ist, außer durch das Aufeinandertreffen ihrer Oberflächen. Doch die Oberfläche ist kein wesentlicher Bestandteil des Körpers, sondern nur ein äußeres Merkmal. Daher kann nichts vom Liebenden in das Wesen des Körpers des Geliebten gelangen. Denn dieses „Etwas“ ist entweder seine Seele, sein Körper oder eine Eigenschaft seiner Seele oder seines Körpers.

Die dritte Möglichkeit scheidet aus, da es unmöglich ist, dass Eigenschaften von einem Wesen auf ein anderes übergehen. Auch die zweite Möglichkeit ist ausgeschlossen, da zwei Körper nicht ineinander verschmelzen können. Ein bloßes Berühren der Ränder und Enden der Körper kann den Wunsch nach Verbindung weder stillen noch das Verlangen des Liebenden befriedigen. Was die erste Möglichkeit betrifft, so ist auch sie unmöglich. Denn wenn eine Seele in ihrer Essenz mit einem Körper in Kontakt treten könnte, würde dieser Körper zu ihrem eigenen Körper werden. Daraus würde folgen, dass ein Körper von zwei Seelen bewohnt würde, was unmöglich ist.

Aus diesem Grund bleibt der Zustand des Liebenden unverändert, selbst wenn er das erreicht, was sein größter Wunsch war: die Nähe zu seinem Geliebten und die gemeinsame Anwesenheit in derselben Umgebung. Wenn dieses Ziel erreicht ist, strebt er nach mehr: Er wünscht sich die Abgeschiedenheit und Intimität mit seinem Geliebten, ohne die Anwesenheit anderer. Sollte auch das gelingen und das Umfeld frei von Fremden sein, wird er nach Umarmung und Küssen verlangen. Gelingt ihm dies, wünscht er, mit dem Geliebten unter einer Decke zu liegen und ihn mit all seinen Gliedmaßen so fest wie möglich zu umarmen. Doch selbst nach all dem bleibt sein Verlangen bestehen, und das innere Brennen seiner Seele bleibt ungestillt. Tatsächlich wird das Sehnen und die innere Unruhe nur noch stärker, wie einer der Dichter sagte.

Ich umarme sie, während die Seele immer noch nach ihr verlangt –

Kann es nach der Umarmung noch größere Nähe geben?

Ich küsse ihren Mund, um die Glut zu löschen –

Doch was ich empfinde, wird nur heftiger entfacht.

Es scheint, als würde mein Herz nicht zur Ruhe kommen –

Außer wenn die beiden Seelen eins werden.

Der tiefere Grund hierfür liegt darin, dass der wahre Geliebte in Wahrheit nicht der Knochen, das Fleisch oder ein Teil des Körpers ist – ja, im Bereich der Körper gibt es nichts, was die Seele begehrt und liebt. Vielmehr handelt es sich um ein geistiges Bild, das in einer anderen Welt existiert.“3

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  1. At-Tīn, 95:4. ↩︎
  2. Al-Muʾminūn, 23:14. ↩︎
  3. Al-Ḥikma al-Mutaʿāliya fī l-Asfār al-ʿAqliyya al-Arbaʿa – Die transzendente Weisheit in den vier intellektuellen Reisen von Ṣadruddīn Muḥammad ash-Shīrāzī; Bd. 3, S. 171-179. ↩︎
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