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Die vierhundert Uṣūl-Schriften der Shīʿa und ihr Verbleib

Alles, worauf sich die Gelehrten der Schiiten stützen können, ist die Behauptung, dass es Bücher gebe, die von den Schülern der Imame direkt nach deren Diktat oder von den Schülern der direkten Schüler verfasst wurden. Diese wurden terminologisch als al-Uṣūl („die Grundlagen“) bezeichnet, und man sagte, ihre Anzahl betrage vierhundert.

Doch wo sind diese Bücher heute? Ist von ihnen etwas erhalten geblieben? Nein!

Sie sind alle verloren gegangen, und es existiert nichts mehr von ihnen außer Nachrichten über sie, die in späteren Büchern erwähnt werden! Und selbst wenn sie tatsächlich vorhanden wären, müssten sie einer gründlichen Prüfung, Untersuchung, Verifizierung und Beglaubigung unterzogen werden. Wie aber soll das geschehen, wenn sie nicht mehr existieren?!

Der Großgelehrte der Shīʿa, Sheikh Jaʿfar aṣ-Subḥānī, entschuldigte das Verschwinden dieser Werke mit folgenden Worten:

„Da es für die Uṣūl-Schriften keine besondere Ordnung gab – da der Großteil von ihnen Mitschriften von Lehrsitzungen und Antworten auf verschiedene aktuelle Fragen waren –, griffen die Verfasser der Jawāmiʿ-Sammlungen dazu, deren Überlieferungen geordnet, systematisch gegliedert und überarbeitet zu übertragen, um so den Zugang und den Nutzen zu erleichtern. Das, was in diesen Uṣūl-Schriften enthalten war, wurde in die Ḥadīth-Sammlungen überführt, insbesondere in die vier Bücher, jedoch in einer speziellen Anordnung. Mit deren Verbreitung nahm das Interesse an der Abschrift und dem Erhalt der Uṣūl-Schriften in ihrer ursprünglichen Form ab.“1

Und er sagte: „Die Schüler der Imame der Ahlu l-Bayt verfassten vierhundert Uṣūl-Schriften im Zeitraum zwischen der Zeit des Imām aṣ-Ṣādiq (a) bis zum Ende der Zeit des Imām ar-Riḍā (a). Diese Schriften sind als die al-Uṣūl al-Arbaʿumiʾa (die vierhundert Uṣūl-Schriften) bekannt. Sie besitzen ein Ansehen und eine Stellung, wie sie keine anderen Schriften haben.“2

Die Wahrheit aber ist: Diese Bücher, die angeblich „ein Ansehen und eine Stellung besitzen, wie keine anderen“, sind de facto mit dem Nichts gleichzusetzen! Denn sie existieren überhaupt nicht – außer als bloße Behauptung. Sie gleichen damit dem Mahdī: Ansehen und Stellung auf der Grundlage von… nichts!

Unmittelbar nach diesen Worten sagte er: „Sayyid Raḍiyyuddīn ʿAlī Ibn Ṭāwūs (gestorben 1266 n. Chr. / 664 n. H.) sagte: Mein Vater berichtete mir: ‚Es war eine Gruppe von Gefährten Abū l-Ḥasans aus seiner Familie und seiner Shīʿa, die seiner Sitzung beiwohnte. Sie hatten in ihren Ärmeln kleine Tafeln aus Ebenholz und Schreibgeräte. Sobald Abū l-Ḥasan (a) ein Wort sprach oder ein Urteil in einem aktuellen Fall fällte, hielten die Anwesenden das, was sie von ihm gehört hatten, sofort schriftlich fest.‘“3

Wenn man das Todesdatum betrachtet, stellt man fest, dass zwischen ʿAlī Ibn Ṭāwūs (dem Vater von Raḍiyyuddīn, der behauptet, er habe es von ihm gehört) und Abū l-Ḥasan mehr als vier Jahrhunderte liegen! Wo also ist die Überlieferungskette?!

Und selbst wenn es sich nur um eine gewöhnliche Nachricht oder um eine nebensächliche Fiqh-Frage handeln würde – die Sache wäre halb so schlimm. Doch hier geht es um die Behauptung, dass es vierhundert verfasste Bücher gegeben habe – von denen heute kein einziges mehr existiert!

Wenn man also fragt: Wo sind sie? Gibt es irgendeinen Anhaltspunkt, der auf ihre Existenz hinweist?

Lautet die Antwort: Der und der sagte, dass so und so gesagt wurde! Und zwischen diesen Personen und der ursprünglichen Nachricht liegen mehrere Jahrhunderte!

Unter den Belegen, die dieser Jaʿfar aṣ-Subḥānī – ein zeitgenössischer Gelehrter aus Bahrain – für ihre Existenz anführt, findet sich Folgendes: „Unser verehrter Sheikh Bahāʾuddīn al-ʿĀmilī sagte in Mashriq ash-Shamsain: ‚Uns wurde von unseren Lehrern überliefert, dass es zur Gewohnheit der Verfasser der Uṣūl-Schriften gehörte, sobald sie ein Ḥadīth von einem der Imame hörten, diesen sofort in ihren Uṣūl-Schriften niederzuschreiben – aus Angst, dass ihnen im Laufe der Zeit ein Teil oder der ganze Inhalt entfallen könnte.‘ Ähnlich äußerte sich auch as-Sayyid ad-Dāmād in seinem Werk Rawāshiḥ.“4

Anschließend führte er als Beleg die Aussagen von al-Muḥaqqiq al-Ḥillī, aṭ-Ṭabarsī und ash-Shahīd ath-Thānī an. Doch keiner von ihnen hat auch nur eine einzige Zeile dieser sogenannten Uṣūl-Schriften jemals gesehen! Zwischen ihnen und den Imamen liegen Zeitalter und Epochen!

Das Höchste, worauf sich seine Argumentation stützt, ist folgende Behauptung: „Ein Teil jener Uṣūl-Schriften ist bis zur Zeit von Ibn Idrīs (1149-1202 n. Chr. / 543-598 n. H.) erhalten geblieben, der einige davon in seinem Buch as-Sarāʾir zitiert und sie dort als al-Mustaṭrafāt bezeichnete. Eine Auswahl daraus habe wiederum as-Sayyid Raḍiyyuddīn Ibn Ṭāwūs übernommen und in seinem Werk Kashf al-Maḥajja erwähnt. Unser Lehrer as-Sayyid Muḥammad al-Ḥujja al-Kūhkamirī (gest. 1953 n. Chr. / 1372 n. H.) hat sechzehn dieser Uṣūl-Schriften einsehen können und sie veröffentlicht.“5

Doch selbst wenn man annimmt, dass die Angaben über al-Kūhkamirī zutreffen, so macht das, was er zu Gesicht bekam, im Vergleich zu dem, was verloren und verschwunden ist, lediglich vier Prozent aus! Am Ende bleibt das Ganze nichts weiter als eine Behauptung innerhalb einer Behauptung!

Es genügt schon zu wissen, dass das älteste und vertrauenswürdigste Ḥadīth-Kompendium der Schiiten – in das, wie sie behaupten, jene Uṣūl-Schriften eingeflossen seien –, nämlich al-Kāfī von al-Kulainī, zu über 60 % aus schwachen oder erfundenen Überlieferungen besteht – wie von al-Majlisī und anderen schiitischen Gelehrten selbst bezeugt! Ein erstaunlicher Widerspruch!

Wir möchten dieses Thema nicht abschließen, ohne auf einen bemerkenswerten Widerspruch hinzuweisen:

Wenn man die sunnitischen Rechtsschulen – wie die ḥanafītische, mālikītische, shāfiʿītische und ḥanbalītische – mit der jaʿfarītischen „Rechtsschule“ vergleicht, stellt man fest, dass von jedem der Gründer dieser Rechtsschulen Bücher in den Bereichen Fiqh, Ḥadīth und anderen erhalten geblieben sind, die von ihren Anhängern überliefert wurden. Mit einer Ausnahme: der jaʿfarītischen „Rechtsschule“!

Trotz der Tatsache, dass sie auf zwölf Imame zurückgeht, die eine Zeitspanne von drei Jahrhunderten abdecken, steht man hier vor einem auffälligen Widerspruch, den man weder auf die leichte Schulter nehmen noch einfach so hinnehmen kann! Da muss etwas Außergewöhnliches mit diesen Imamen geschehen sein!

Wie sonst ist es erklärbar, dass elf – oder zwölf, gemäß der Überzeugung der Schiiten – Gelehrte einer einzigen Rechtsschule kein einziges Werk in Fiqh oder Ḥadīth hinterlassen haben, während jeder der anderen sunnitischen Rechtsschulen lediglich einen einzigen Imam vorzuweisen hat – und dieser zahlreiche Bücher verfasst hat?!

Dass nicht ein Einziger von ihnen jemals etwas geschrieben haben soll – das ist schlichtweg nicht glaubhaft. Und dass durchaus Bücher verfasst worden sein könnten, diese aber allesamt verloren gingen – das erscheint höchst unwahrscheinlich.

Wie soll man einen solchen Vorgang bei elf Gelehrten in direkter Abfolge akzeptieren, wo doch bei keinem einzigen Gelehrten der anderen sunnitischen Rechtsschulen je Vergleichbares geschehen ist?! Da muss es eine andere Erklärung geben!

Wer lange über diesen eklatanten Widerspruch nachdenkt, wird keine plausiblere Annahme finden als die Vermutung, dass es sich um eine sorgfältig eingefädelte Verschwörung handelte, die schon früh darauf abzielte, ebenjene Werke gezielt auszulöschen.

Diese Imame – oder zumindest einige von ihnen – haben sehr wohl Werke verfasst. Doch ihre Schriften wurden von jenen beschlagnahmt, die sich nach außen als loyale Anhänger gaben, während sie sie in Wirklichkeit systematisch vernichteten. Ihr Ziel war es, die ursprünglichen Quellen zu eliminieren, um später die ihnen zugeschriebenen Inhalte nach Belieben manipulieren zu können – in Abwesenheit der authentischen Urschriften.

Stattdessen ersetzten sie die echten Texte durch eine gewaltige Menge gefälschter Überlieferungen, durchtränkt von fanatischer Loyalität, scheinbarer Liebe zu den Imamen und dem demonstrativen Bestreben, sich ihnen zuzuschreiben – begleitet von maßloser Übertreibung. Und jeder, der übertreibt, ist ein Lügner. So gelang es ihnen, die Massen zu täuschen und sie in eine psychologische Lage zu versetzen, in der sie bereitwillig ihre Behauptungen glaubten.

Der Gipfel der Absurdität ist dabei, dass diese Leute anderen vorwerfen, vom „Madhhab der Ahlu l-Bayt“ abzuweichen – und sie drängen sie mit Nachdruck, ihre Rechtsschulen zu verlassen und sich diesem „Madhhab“ zuzuwenden – einem Madhhab, der nicht einmal ein einziges Buch von Jaʿfar aṣ-Ṣādiq oder einem der anderen Imame vorweisen kann, das einen tatsächlich zum „Imāmī“ oder „Jaʿfarī“ machen könnte – mit Recht!

Wie könnte man ernsthaft die nachweisbaren und mit ihren Imamen verbundenen Rechtsschulen verlassen – mit Werken, die jene Imame selbst geschrieben haben – und sich stattdessen einem bloßen Phantom zuwenden, das keinen Überlieferungsweg und nichts außer leere Behauptungen vorweisen kann?

Ein Konstrukt, das sich nur an einfache Menschen „verkaufen“ lässt, die ihren Verstand abgeschaltet haben und alles bloß auswendig lernen und blind übernehmen?!

All das zerstört – zumindest – das Vertrauen in das diesem Fiqh zugeschriebene Erbe. Wenn man darüber hinaus die unzähligen Widersprüche unter den Shīʿa-Gelehrten in rechtlichen Fragen berücksichtigt, überwiegt der Zweifel, und das Vertrauen schwindet gänzlich.

Und wenn man schließlich auch noch einen genaueren Blick auf den Inhalt vieler Rechtsfragen dieses Fiqh wirft, bleibt kein Zweifel mehr: Seine Zuschreibung zu Imām Jaʿfar Ibn Muḥammad, möge Allah ihm barmherzig sein, ist erlogen und haltlos.

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  1. Adwār al-Fiqh al-Imāmī von Jaʿfar aṣ-Subḥānī; S. 35. ↩︎
  2. Ebenda, S. 34. ↩︎
  3. Ebenda. ↩︎
  4. Ebenda. ↩︎
  5. Ebenda, S. 36. ↩︎
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