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Das Scheinargument:
Al-Bukhārī (810-870 n. Chr.), der Verfasser von al-Jāmiʿ aṣ–Ṣaḥīḥ (bekannt als Ṣaḥīḥ al-Bukhārī), gilt als einer der bedeutendsten Ḥadīth-Gelehrten in der islamischen Geschichte. Seine Ḥadīth-Sammlung wird von den Muslimen als die authentischste nach dem Qurʾān angesehen. Dennoch erheben einige schiitische Kritiker den Vorwurf, er sei ein Nāṣibī gewesen – also jemand, der die Ahlu l-Bayt (die Familie des Propheten ﷺ) hasste – und habe deshalb bewusst keine Aḥādīth von Imam Jaʿfar aṣ-Ṣādiq (702-765 n. Chr.) in sein Werk aufgenommen.
Antwort auf das Scheinargument:
Erstens: Die Methodik von al-Bukhārī und die Auswahl seiner Aḥādīth.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass al-Bukhārī nicht alle authentischen Aḥādīth in seine Sammlung aufnahm. In der Ḥadīth-Wissenschaft gilt die Regel, dass kein einzelnes Ḥadīth-Werk alle authentischen Überlieferungen enthalten kann. Al-Bukhārī selbst sagte: „Ich habe in meinem Buch nur authentische Aḥādīth aufgenommen, aber ich kenne noch viele weitere authentische Aḥādīth, die ich nicht aufgenommen habe.“1
Dies zeigt, dass seine Auswahl bewusst begrenzt war und dass das Fehlen eines Ḥadīth oder eines Überlieferers in seinem Werk nicht bedeutet, dass er ihn als unglaubwürdig ansah.
Darüber hinaus war al-Bukhārī bekannt für seine besonders strengen Auswahlkriterien. Nicht nur musste der Überlieferer als absolut zuverlässig gelten, sondern es war ihm besonders wichtig, dass der Überlieferer persönlich nachweisbaren Kontakt mit seinem Lehrer hatte. Das bedeutete, dass er sehr genau untersuchte, ob ein Schüler tatsächlich nachweislich von seinem Lehrer gehört hatte oder ob es nur theoretisch möglich war.
Zweitens: Warum überlieferte al-Bukhārī nicht von Jaʿfar aṣ-Ṣādiq?
Die Tatsache, dass al-Bukhārī keinen Ḥadīth direkt von Jaʿfar aṣ-Ṣādiq in Ṣaḥīḥ al-Bukhārī überlieferte, bedeutet nicht, dass er ihn ablehnte oder gar feindlich gegenüberstand. Es gibt mehrere wissenschaftlich fundierte Erklärungen für dieses Phänomen:
1. Al-Bukhārī hat nicht alle vertrauenswürdigen Gelehrten aufgenommen:
Al-Bukhārī überlieferte nicht nur nicht von Jaʿfar aṣ-Ṣādiq, sondern auch nicht von vielen anderen anerkannten, vertrauenswürdigen Gelehrten seiner Zeit. Dazu gehören unter anderem:
- Imam ash-Shāfiʿī (gest. 820) – einer der vier großen sunnitischen Rechtsgelehrten
- ʿUmar Ibn ʿAbdul-ʿAzīz (gest. 720) – ein angesehener Kalif und Gelehrter
- Imam Aḥmad Ibn Ḥanbal (gest. 855) – der Begründer der Ḥanbalī-Schule
Diese Gelehrten werden von Sunniten hoch geschätzt, dennoch wurden sie nicht in Ṣaḥīḥ al-Bukhārī aufgenommen. Das zeigt, dass die Entscheidung, jemanden nicht aufzunehmen, kein Beweis für Ablehnung oder Feindschaft ist.
2. Al-Bukhārī bevorzugte direkte Überlieferungen mit gesicherten Ketten:
Ein weiteres zentrales Kriterium für al-Bukhārīs Auswahl war die Direktheit und Stabilität der Überlieferungskette (Isnād). Jaʿfar aṣ-Ṣādiq war zweifellos eine herausragende Persönlichkeit, doch seine Überlieferungen hatten oft mehrere Mittelsmänner zwischen ihm und dem Propheten ﷺ. Zudem wurden viele Aḥādīth von ihm nicht in direkter, vollständig nachweisbarer Kette überliefert, sondern oft nur in Form von allgemeinen Erzählungen ohne lückenlose Überlieferung.
Dies zeigt sich auch in schiitischen Ḥadīth-Sammlungen. In al-Kāfī, einem der wichtigsten schiitischen Ḥadīth-Werke, gibt es kaum direkte Überlieferungen von Jaʿfar aṣ-Ṣādiq mit einer vollständigen, gesicherten Kette zurück zum Propheten. Meist lauten diese Überlieferungen: „Jaʿfar aṣ-Ṣādiq sagte: Mein Vater sagte: Sein Vater sagte…“
Da al-Bukhārī jedoch strikte Anforderungen an eine direkte und gesicherte Überlieferungskette stellte, könnten solche Berichte seinen Kriterien nicht genügt haben.
Drittens: Schiitische Widersprüche: Keine direkten Überlieferungen von Fāṭima, Allahs Wohlgefallen auf ihr, in ihren eigenen Büchern:
Ein weiteres Argument gegen die schiitische Kritik ist, dass die Schiiten selbst keine einzigen direkten Überlieferungen von Fāṭima az-Zahrāʾ, Allahs Wohlgefallen auf ihr, in ihren eigenen Hauptwerken haben. In al-Kāfī, mit über 16.000 Überlieferungen, findet sich keine vollständige, direkte Überlieferung von ihr, obwohl sie die Tochter des Propheten ﷺ war.
Wenn das Fehlen von Jaʿfar aṣ-Ṣādiq in Ṣaḥīḥ al-Bukhārī ein Zeichen von Feindseligkeit wäre, dann müsste das Fehlen von direkten Überlieferungen von Fāṭima in al-Kāfī ebenfalls Feindseligkeit gegenüber Fāṭima bedeuten. Da dies offensichtlich nicht der Fall ist, ist das Argument gegen al-Bukhārī unhaltbar.
Viertens: Die Haltung von al-Bukhārī zur Ahlu l-Bayt:
Ein weiterer klarer Beweis dafür, dass al-Bukhārī kein Gegner der Ahlu l-Bayt war, ist die Tatsache, dass er zahlreiche Aḥādīth von Mitgliedern der Ahlu l-Bayt überliefert hat. Dazu gehören unter anderem:
- ʿAlī Ibn Abī Ṭālib, Allahs Wohlgefallen auf ihm.
- Al-Ḥasan Ibn ʿAlī, Allahs Wohlgefallen auf ihm.
- Fāṭima az-Zahrāʾ, Allahs Wohlgefallen auf ihm.
- Zaid Ibn ʿAlī, möge Allah barmherzig mit ihm sein.
Besonders hervorzuheben ist der Ḥadīth: „Fāṭima ist ein Teil von mir. Wer sie verletzt, der verletzt mich.“2
Ein Ḥadīth wie dieser wäre unvorstellbar, wenn al-Bukhārī tatsächlich die Ahlu l-Bayt gehasst hätte.
Fünftens: Fazit.
Die schiitische Behauptung, dass al-Bukhārī ein Nāṣibī war, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Es gibt keinen Beweis dafür, dass er die Ahlu l-Bayt absichtlich ignorierte oder ihnen feindlich gesinnt war. Vielmehr zeigen die Belege, dass:
- Al-Bukhārī nicht alle vertrauenswürdigen Gelehrten aufgenommen hat, selbst nicht große Namen wie ash-Shāfiʿī oder Aḥmad Ibn Ḥanbal.
- Seine Methodik äußerst streng war und oft bestimmte Überlieferungsketten ausschloss.
- Die Schiiten selbst keine direkten Überlieferungen von Fāṭima, Allahs Wohlgefallen auf ihr, haben, was ihre Argumentation widersprüchlich macht.
- Al-Bukhārī zahlreiche Aḥādīth von der Ahlu l-Bayt überliefert hat, was jede Behauptung von Feindschaft widerlegt.
Daher ist die Kritik an al-Bukhārī nicht nur unbegründet, sondern entlarvt sich selbst als wissenschaftlich inkonsistent und ideologisch motiviert.
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